Dienstag, September 10, 2013

Nora Nadjarian - Essay und Vita (deutsch und english)



Nora Nadjarian

Nora Nadjarian (*1966, Zypern) ist eine armenisch-zypriotische Autorin und Lyrikerin. Sie studierte in England und in der Schweiz.
Ihre Gedichte kreisen um alltägliche Episoden, die in ihrer atmosphärischen Verdichtung die Wirklichkeit übersteigen und auf symbolische Innenwelten verweisen.
Sie schreibt ihre Lyrik vorwiegend in englischer und armenischer, zum geringeren Teil auch in griechischer Sprache. In ihren Gedichten verarbeitet sie ihre multikulturelle und polyglotte Prägung.
Regelmäßig nimmt sie an Poesie-Festivals, an literarischen Tagungen und Projekten im englischsprachigen Raum teil. Gedichte sind in deutscher Übersetzung in der Anthologie „Zypern literarisch“ (Botschaft der Republik Zypern 2008) und in der Literaturbeilage des Zypernheftes der „Jungle World“ 10/2009 erschienen.


In ihrem Essay zur BARDINALE berichtet sie von literarischem Austausch, der Grenzen überschreitet:



Als Zypern 2004 der EU beitrat, sah die Zukunft rosig aus. Zehn Jahre später sind die Zyprioten – schwer getroffen von der Wirtschaftskrise - enttäuscht, entmutigt und ernüchtert. Es scheint fast so, als hätte  man für eine Geschichte, die  gut angefangen hatte, ein schlimmes Ende  geschrieben. Aber handelt es sich wirklich ein um Ende? War die europäische Einigung nur eine Illusion? Wohin richten wir uns jetzt? Das sind  die Fragen, denen wir uns in diesen Zeiten stellen müssen. Aus wirtschaftlicher Sicht herrschen nun unruhige Zeiten in Zypern. Aus Sicht der Literatur ist es vielleicht eine weniger schlimme Zeit? Aber lassen sich die beiden überhaupt so einfach und eindeutig trennen?

Zu Beginn schien es, als böten sich endlose Entwicklungsmöglichkeiten durch europäische Projekte, die literarische Beiträge ausschrieben, durch Treffen von Schriftstellern aus verschiedensten Mitgliedsstaaten, internationale Publikationen und andere Chancen zur Zusammenarbeit. In den vergangen zehn Jahren habe ich selbst einige dieser Konferenzen besucht und an Festivals in unterschiedlichen europäischen Ländern (Österreich, Deutschland, Tschechische Republik, Schweden) teilgenommen. Als Mitglied des Komitees der zypriotischen Schriftstellervereinigung habe ich auch an vom EWC (Europäischer Schriftstellerverband mit Sitz in Brüssel) organisierten Treffen teilgenommen, bei denen für Autoren relevante, aktuelle Kernpunkte der zahlreichen EU-Förderprojekte vorgestellt und diskutiert wurden. Bei all diesen Treffen fühlte ich mich stets als Teil eines Ganzen und niemals als Außenseiter.

Ich liebte es, Leute zu treffen, die aus anderen Ländern kamen und andere Sprachen als ich beherrschten, - Leute, die einen völlig andersartigen kulturellen Hintergrund hatten -  und mit ihnen zu sprechen. Als Inselbewohner war ich fasziniert von der Idee, Grenzen zwischen dem einen und dem anderen Land so schnell, so einfach zu überwinden…im buchstäblichen wie übertragenen Sinne.

An eine Konferenz werde ich mich immer erinnern: 2008 traf ich einen spanisch-baskischen Autor, der auf Niederländisch schrieb, einen rumänischen Autor, der auf Französisch schrieb und einen Autor türkischer Herkunft, der auf Dänisch schrieb! Ich bin Zypriotin armenischer Abstammung, und durch meinen Bildungshintergrund schreibe ich hauptsächlich auf Englisch. Jahrelang habe ich mich gefragt: „Wozu macht mich das?“ Auf dieser Konferenz in Brüssel, im Herzen Europas, fand ich schließlich die Antwort:  „Es macht mich zu einer Schriftstellerin!“ Ich glaube, dass ich Menschen mit meinem Schreiben berühren kann, unabhängig davon, welche Sprache ich dazu wähle. Denn letztlich kommt es nicht darauf an, in welcher Sprache man schreibt, sondern was man schreibt und wie man es schreibt.

Vielleicht lässt sich das auch über die aktuelle Lage Europas sagen. Es geht nicht darum, was die Krise mit uns macht, sondern was wir aus der Krise machen. Mit den Worten Eugene Ionescos: „Die gesamte Geschichte ist nichts anderes als eine Folge von Krisen – von Abbruch, Ablehnung und Abwehr. Wenn es keine Krise gibt, gibt es nur Stillstand, Versteinerung und Tod. Alles Denken, alle Kunst ist aggressiv.

Essay von Nora Nadjarian im Rahmen der BARDINALE 2013
aus dem Englischen übersetzt von Christina Hutterer
 


Here the original english version of the essay:

When Cyprus joined the EU in 2004, the future looked bright. Almost a decade later, Cypriots, hard-hit by the economic crisis are disappointed, disenchanted, disillusioned. It seems almost as if somebody has written a bad ending to a story which started wonderfully.
            Is it really an ending? Was European unification just an illusion? Where do we go from here? These are questions we ask ourselves these days. They are troubled days for Cyprus from the economic point of view. From the literary point of view to a lesser extent, perhaps? But can we separate the two clearly and simply?
            In the beginning, European projects inviting literary input, meetings between writers from various member states, joint publications and other opportunities seemed to give endless possibilities for development. In the past decade, I myself have attended some conferences and participated in festivals at various European destinations (Austria, Germany, Czech Republic, Sweden). As a member of the committee of the Cyprus Writers’ Union, I have participated in some meetings organised by the EWC (European Writers’ Council - based in Brussels) where current key priorities relevant to authors, in the context of the many EU initiatives, were presented and discussed. At all those meetings, I felt as part of a whole and never as an outsider.
             I loved meeting, listening to and talking to people who spoke other languages to mine, who came from completely different cultural backgrounds, and, as an islander, was fascinated by the idea of crossing borders between one country and another, simply, instantly… both in the literal and in the metaphorical sense.
            One conference that has always stayed with me was back in 2008 when I met a Spanish-Basque author writing in Dutch, a Romanian author writing in French and an author of Turkish origin writing in Danish! I am a Cypriot of Armenian descent, and due to my educational background, I write mostly in English. For years, I had asked myself “What does that make me?” At the conference in 2008, in the centre of Brussels, the heart of Europe, I finally found the answer: “It makes me a writer.” I believe that I can touch people through my writing, no matter what language I choose. Because at the end of the day, it is not which language you write in, it’s what you write, how you write it.
                Perhaps we can say the same of the current situation in Europe. It is not what the crisis makes of us, but what we make of the crisis. In the words of Eugene Ionesco:  All history is nothing but a succession of crises – of rupture, repudiation and resistance. When there is no crisis, there is stagnation, petrifaction and death. All thought, all art is aggressive.” 





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