Dienstag, September 10, 2013

Beqë Cufaj - Essay und Vita (deutsch und englisch)



Beqë Cufaj
 
Beqë Cufaj (*1970, Kosovo) studierte albanische Sprach- und Literaturwissenschaft in Prishtina. Nach dem Abschluss seines Studiums kam Cufaj 1995 nach Deutschland, genauer nach Gerlingen an den Stadtrand von Stuttgart.
Seine Erfahrungen verarbeitete er in dem auf Albanisch verfassten Band „205“ (1996), der in jener Zeit entstandene Gedichte und Prosastücke versammelt und betitelt ist nach Cufajs Zimmernummer in der Sozialunterkunft, in der er seinerzeit wohnte. Ausgewählte Gedichte erschienen außerdem in der renommierten Literaturzeitschrift „Akzente“. In klarer Sprache und eindringlichen Bildern handeln diese von schmerzlichen Verlusten, von Tod und verlorener oder fremd gewordener Heimat. Während des Kosovokriegs veröffentlichte Cufaj Essays, in welchen er die Ereignisse in seiner Heimat reflektierte und westeuropäischen Lesern begreiflich zu machen versuchte. Seine Artikel wurden in zahlreichen europäischen Zeitungen publiziert, u. a. in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und der „Neuen Zürcher Zeitung“.
 

In seinem Essay zur BARDINALE spannt er vor dem Hintergrund der Geschichte Serbiens, Kroatiens, Bosniens und des Kosovo den Bogen zwischen Schlagerliedern und Friedensstiftung:
 

Danke Deutschland!

„Danke Deutschland“ sang ein inzwischen vergessenes  Schlagersternchen  im Sommer des Jahres 1991 im kroatischen Staatsfernsehen, gleich nachdem der damalige deutsche  Außenminister Hans-Dietrich Genscher erfolgreich die Anerkennung des neuen Staates durch die übrigen EG-Mitglieder betrieben hatte. Das Lied, rasch und schlecht komponiert,  kam als Peinlichkeit an:  peinlich sowohl  für die Kroaten als auch für die Deutschen.

Als junger Student,  gerade eben durch Slobodan Miloševićs Polizei von der Universität relegiert,  war ich froh, dass der Staat Jugoslawien nun endlich zerfiel. Hass und Zorn waren so groß, dass ich damals mit einem kurzen Prozess rechnete, nicht jedoch damit, dass es zehn Jahre dauern und Hunderttausende zu Tode kommen würden. Die Ortsnamen von Vukovar in Kroatien, Srebrenica in Bosnien und Herzegowina und  Reçak im Kosovo stehen heute als Symbole für ganz Europa betreffendes kollektives Trauma.

Das kroatische Lied wurde bald mit bitterem Sarkasmus zitiert. Kroaten, Bosniaken und  Albaner hofften, Deutschland würde sie nicht im Stich lassen. Zu Ende ging das Drama erst, als zwischen März und Juni 1999 NATO- Truppen  ins Kosovo einmarschierten und damit den noch brüchigen Frieden in allen Kriegsbeteiligten Ländern sicherten.

Es begann ein schleppender, zäher Nachkrieg. Selbst die Anklagen vor dem Haager Tribunal für Ex-Jugoslawien wurden in den Nachfolgestaaten als Fortsetzung des Krieges mit juristischen Mitteln gedeutet. Immer wieder wurde von ominösen Deals, Pakten und Austauschgeschäften geraunt, die Amerikaner, Briten  und die Deutschen angeblich schlossen, um dieses oder jenes Land mithilfe einer Verhaftung, einer Anklage, eines Urteils unter Druck zu setzen. Die Wiederaufbauhilfe kam stockend in Gang blieb aber hinter den Erwartungen zurück. UNO, EU, OSZE und alle möglichen NGO-s in Bosnien, im Kosovo, aber auch in Kroatien und Serbien experimentierten mit allerlei volkserzieherischen Konzepten und produzierten Verdruss, Ineffizienz und Korruption. Die Hoffnung, welche die Amerikaner und Europäer in den Kroaten Franjo Tuđman oder den Bosniaken Alija Izetbegović setzten, zerstob in der Nachkriegszeit. Als die Serben sich unter der geschickten Regie von Zoran Đinđić ihres unseligen Führers Milošević entledigt hatten, wurde der neue Mann, Hoffnung vor allem der Deutschen, von Schergen des alten Regimes umgebracht. Im Kosovo erwies sich der Albanerführer Ibrahim Rugova als zu schwach, um der jungen UÇK Generation noch mehr Geduld abzuverlangen.

In Kroatien riss die schmerzliche Demokratisierung mit Ivo Sanader auch einen ihrer herausragenden Betreiber mit sich fort. In Bosnien erwies sich – und erweist sich noch immer – die gefundene Dayton Lösung als nicht praktikabel. In Serbien brachte es der Schüler des ermordeten Đinđić, Boris Tadić, nicht über sich, das Ergebnis des Kosovo-Krieges anzuerkennen, und blieb deshalb trotz erheblicher taktischer Schläue nur eine Fußnote der serbischen Geschichte.

Und dann ereignete sich doch noch so etwas wie ein Wunder. Ausgerechnet die, die damals den Krieg führten, schaffen zwischen Serbien und dem Kosovo nach hundert Jahren Hass und Misstrauen heute Frieden. Ivica Dačić, der heutige serbische Premierminister, war damals Pressesprecher des Slobodan Milošević, und der heutige Präsident Tomislav Nikolić gehörte sogar zu den Tschetniks, jenen Widergängern des Zweiten Weltkriegs, die in den Neunzigerjahren die ganze Region noch einmal in Angst und Schrecken versetzten. Aleksandar Vučić, heute Vize-Premier und Motor der Einigung, war damals ein Scharfmacher. Und im Kosovo regiert heute der seinerzeitige Anführer der UÇK, Hashim Thaçi, und bei der Einigung mit Belgrad hat ihn seine einflussreicher Ex-Kamerad und heutiger Konkurrent Ramush Haradinaj unterstützt.

Ich sitze mit dem italienischen Diplomaten Fernando Gentilini, dem Stellvertreter der EU Außenbeauftragten Catherine Ashton, in einem Brüsseler Bistro beim Abendessen. „Ohne deutsche Hilfe“, sagt er, „ohne die tagtäglichen Telefonate mit dem außenpolitischen Berater von Angela Merkel, Christoph Heusgen, wäre das Abkommen niemals zustande gekommen“, sagt er mir.

Und in der Tat: Ohne den massiven Druck, aber auch ohne die Lockungen und Angebote aus Berlin wäre das Abkommen undenkbar. Aber auch Deutschland hat gewonnen, als mit Guido Westerwelle ein Schüler von Hans-Dietrich Genscher mit dem Serben Aleksandar Vučić und dessen Vater einen Schnaps trinkt, während Ramush Haradinaj,  genau wie Vučić, in Berlin empfangen wird und für eine Zukunft Kosovos in der EU werben darf.

Kanzlerin Merkel, Außenminister Westerwelle, aber auch die Bundestagsabgeordneten, angefangen bei Andreas Schockenhoff (CDU/CSU): Alle hatten begriffen, wann der Augenblick gekommen war, sich einzubringen für einen historischen Friedensschluss.

Wenn jetzt einer „Danke Deutschland“ sagen würde, klänge es nicht mehr nach dem alten, kitschigen Paternalismus der mächtigen Westeuropäer, die sich auf dem zurückgebliebenen Balkan ihre Schoßhund-Nationen suchen, von denen sie geliebt werden möchten. „Danke Deutschland“ können Serben und Albaner jetzt gemeinsam singen. Erst im Chorgesang kann die schlichte Melodie überzeugen. 

Here the english version of the essay :

Beqë Cufaj

Danke Deutschland!



In the summer of 1991, a now forgotten chanteuse crooned “Danke Deutschland” on Croatian national TV, just after the German Foreign Minister Hans-Dietrich Genscher succeeded in persuading the other EU member states to recognise this new state. The song, hastily and sloppily composed, was perceived as an embarrassment, both to the Croatians and the Germans.

As a young studentrecently relegated from the university by Slobodan Milošević’s police force, I was relieved that the state of Yugoslavia was finally coming to an end. The hate and rage were so great that I expected the authorities to make short work of it, and would never have believed that it would take ten years and that hundreds of thousands would die. Today, the names of Vukovar in Croatia, Srebrenica in Bosnia and Herzegovina and Reçak in Kosovo are symbols of a collective trauma for all of Europe.

The Croatian song was soon quoted with bitter sarcasm. Croatians, Bosnians and Albanians hoped Germany would not abandon them. The curtain did not close on the drama until NATO troops marched into Kosovo between March and June 1999, securing the still fragile peace in all of the warring countries.

A long, dragged-out post-war period began. Even the prosecutions before the Hague Tribunal for the former Yugoslavia were interpreted in the successor states as a continuation of the war with legal means. Rumours about ominous deals, pacts and bartering between the America, Britain and Germany to pressurise one country or another with an arrest, prosecution or judgement, circulated. The reconstruction aid slowly started arriving, but did not meet the expectations. UN, EU, OSCE and all NGOs in Bosnia, Kosovo, as well as Croatia and Serbia experimented with all kinds of concepts to educate the people, resulting only in annoyance, inefficiency and corruption. The hopes placed by the Americans and Europeans in the Croat Franjo Tuđman or the Bosnian Alija Izetbegović were dashed in the post-war period. When the Serbians, under the skilful leadership of Zoran Đinđić, had gotten rid of their disastrous leader Milošević, the new man, on whom the Germans in particular had pinned their hopes, was killed by henchmen from the old regime. In Kosovo, the Albanian leader, Ibrahim Rugova proved too weak to coax more patience from the young UÇK generation.

In Croatia, the painful democratisation process also swept away one of its exceptional proponents in Ivo Sanader.  In Bosnia, the selected Dayton solution proved – and continues to prove – impracticable. In Serbia, a student of the murdered Đinđić, Boris Tadić, was unable to accept the result of the Kosovo war, and remained but a footnote in Serbian history, in spite of his great tactical cunning.

And then, something like a miracle happened. Of all people, it is those who waged the war are now forging peace between Serbia and Kosovo after one hundred years of hate and mistrust. Ivica Dačić, the current Serbian Prime Minister, was Slobodan Milošević’s Speaker, and the current President, Tomislav Nikolić was actually a member of the Chetniks, the World War II revenants, who once again spread terror and fear throughout the entire region in the Nineties. Aleksandar Vučić, current Vice Prime Minister and driving force behind the agreement, was an agitator at the time. And Kosovo is now governed by the former leader of the UÇK, Hashim Thaçi, who was supported in reaching agreement with Belgrade by his influential former comrade and current competitor Ramush Haradinaj.

I was dining recently with the Italian diplomat Fernando Gentilini, Deputy to the EU High Representative for Foreign Affairs, Catherin Ashton, in a Brussels bistro. “Without the help of Germany,” he said, “without the daily telephone calls with Christoph Heusgen, the foreign policy advisor to Angela Merkel, the treaty would never have come about”.

And it's true: without the intense pressure, as well as the encouragement and offers from Berlin, the treaty would be inconceivable. But Germany is also a winner when Guido Westerwelle, a student of Hans-Dietrich Genscher, shares a schnapps with the Serbian Aleksandar Vučić and his father, while Ramush Haradinaj, is welcomed in Berlin just like Vučić, where he is permitted to campaign for Kosovo’s future in the EU.

From Chancellor Merkel, Foreign Minister Westerwelle, as well as the Members of the German Bundestag (Lower House), to Andreas Schockenhoff (CDU/CSU): They all understood when the time was right to get on board for a historic peace agreement.

If someone were to say “Danke Deutschland” now, it would no longer sound like the old, kitsch paternalism of the powerful Western Europeans, looking for an adoring lapdog nation in the backward Balkans. Serbians and Albanians can now sing “Danke Deutschland” together. The simple melody only sounds right when sung by a choir. 

The author, Beqë Cufaj (1970), was born in Deçan, Kosovo, and lives in Stuttgart. His most recent work is the novel “projekt@party”, published by Secession Verlag für Literatur.


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