Kateryna Babkina
Die ukrainische
Dichterin Kateryna Babkina (*1985,
Ukraine) studierte Internationale
Journalistik an der Nationalen Taras Shevtchenko Universität in Kiew und
arbeitet seither als freie Journalistin. Sie schrieb Kolumnen für die Zeitung
„Le Monde“ und das Magazin „Focus“.
Ihr erster Gedichtband “The Lights of St. Elmes” erschien 2002. Es folgte der Erzählband “Leloo after You” (2008) und der zweite Gedichtband “The Mustard” (2012). Kateryna Babkina ist Mitherausgeberin verschiedener Anthologien und Jahrbücher. Ihre Gedichte sind in verschiedene Sprachen übersetzt und erscheinen in Zeitschriften in der Ukraine, Russland, Polen, Deutschland und Schweden. Sie schreibt auch Drehbücher und Theaterstücke.
Sie ist zudem Regisseurin von Videos zu ihrer eigenen Poesie und Prosa sowie der verschiedener anderer moderner ukrainischer und europäischer Autoren. Ihre Arbeiten aus dem Projekt VIDEOPOETRY/VIDEOPROSE wurden auf verschiedenen Literatur- und Filmfestivals gezeigt, z.B. in Kiew, Moskau, Krakau, Vilnius und Valencia.
Ihr erster Gedichtband “The Lights of St. Elmes” erschien 2002. Es folgte der Erzählband “Leloo after You” (2008) und der zweite Gedichtband “The Mustard” (2012). Kateryna Babkina ist Mitherausgeberin verschiedener Anthologien und Jahrbücher. Ihre Gedichte sind in verschiedene Sprachen übersetzt und erscheinen in Zeitschriften in der Ukraine, Russland, Polen, Deutschland und Schweden. Sie schreibt auch Drehbücher und Theaterstücke.
Sie ist zudem Regisseurin von Videos zu ihrer eigenen Poesie und Prosa sowie der verschiedener anderer moderner ukrainischer und europäischer Autoren. Ihre Arbeiten aus dem Projekt VIDEOPOETRY/VIDEOPROSE wurden auf verschiedenen Literatur- und Filmfestivals gezeigt, z.B. in Kiew, Moskau, Krakau, Vilnius und Valencia.
In Ihrem Essay sinniert sie über die unterschiedlichen Qualitäten der Begriffe "Europa" und "europäisch":
Das immer irgendwo ganz um die Ecke liegende Europa
Kateryna Babkina
In jeder Gesellschaft und in jeder Kultur sind die eine Zeit oder der eine Ort vorhanden, wo alles besser ist, als hier und jetzt, wo alles ehrlicher, einfacher, schöner ist. Es ist
fast eine Paradiesanalogie; die es in jeder Religion, in jedem Glauben, in
jeder sektantischen Lehre gibt. Bei uns erinnern sich die älteren Menschen an
die sowjetischen Zeiten; und die ganz alten im Westen des Landes erinnern sich daran, wie
es zu magischen „polnischen Zeiten“ war, was eigentlich eher einen Rückblick auf
die Österreichisch-Ungarische Monarchie bedeutet. Früher soll genau dasselbe
gesagt worden sein – dass es „vor dem Krieg“ gut war, „vor der
Sowjetunion“, „zu Zarenzeiten“. Es gibt auch eine vereinfachte Version, die
lautet: „in unserer Zeit dagegen“ – dieser Satzanfang kann praktisch alles
Mögliche bedeuten. Außerdem gibt es territoriale Einheiten – „dort, wo ich
großgeworden bin“, „in Kyiv dagegen“, „als wir in den USA arbeiteten“ etc.
Den ersten Platz unter all diesen hübschen, erlebten und beendeten, räumlichen und lokalen Strukturen, wo alles besser als hier ist, besitzt bei uns zweifellos Europa, kaum zu fassend, territorial und geistig, ein Europa, in dem fast jeder schon einmal war; es ist
da, sobald du die Grenze passiert hast – und
du kommst an einen Ort, wo alles bestens ist.
In der Ukraine hat alles mit der Eigenschaft „europäisch“
seit langem schon einen fast sakralen Beiklang. Der Begriff „europäische
Renovierung“, das nicht besonders viel mehr als weiß oder hell getünchte Wände,
neues Bad, neue Steckdosen, Plastikfenster und Büroleuchten
bedeutet, erhöht nach der schweigenden Absprache den Preis für die zu
verkaufende oder zu mietende Fläche. In den Geschäften werden europäische
Tapeten und europäische Vorhänge verkauft, was den Kunden verdeutlichen soll,
dass die Tapeten bzw. Vorhänge gut sind. Die Apotheken bieten europäischen
Service an, und die Universitäten europäische Ausbildung. Wenn ein Autor oder eine Autorin für eine Lesung anständig bezahlt wird (was bei uns immer noch nur vereinzelt geschieht), hört man nicht selten: „Oh, es ist wie in Europa“.
In Wirklichkeit gibt es jenseits von unseren Grenzen ein
ganz anderes Europa – das Europa der
Krisenzeit, das Europa, das mit uns nichts gemeinsames haben will, das
aussterbende Europa, wo es an Arbeitsplätzen und warmen Gefühlen mangelt, wo es
an heißem Blut mangelt, das diesen Mix aus Geschichte und Geographie verdünnen
könnte. Dieses Europa hat Tausende
verschwommene Identitäten. Es ist ein eitles und zugleich verwirrtes Europa, in
dem es nebeneinander ausgezeichnete Aussichten und Trümmer einer mannigfaltigen
und wunderschönen Welt gibt, einer Welt, die es gab, als Europa als solches
erst im Werden war. Man kann nicht umhin zuzugeben, dass es damals am
interessantesten war. Die besten
Straßen, Schlösser, Flüsse, historische Wenden, literarische Allusionen,
Gegenstände, Kleidungs- und Möbelstücke, Intrigen und Traditionen leiten sich
aus jener Zeit her.
Wir sind lebendig und hingerissen, vielleicht
deshalb ist bei uns alles so kompliziert. Einen Platz in Europa haben wir, da
werden wir gebraucht, wir brauchen jedoch ein imaginäres Paradies, ein Europa
ganz um die Ecke, wo alles gut ist und wo wir in Kürze ankommen, um uns dort
demütig zu ergeben, zu ruhen in Frieden und Eintracht – mit
anderen Worten, wir brauchen ein Europa, das sich uns nie zuträgt. Europa als
unerfüllbares Ziel. Als еin ewiges Reflexions- und Masturbationsthema. Wie alle
normalen Träumer brauchen wir in der
Literatur, Kunst, Liebe, im
Geschäftsleben und in der Politik das Unerfüllbare. Und was wir brauchen,
geschieht mit uns unausweichlich.
Aus dem
Ukrainischen von Chrystyna Nazarkewytsch übertragen
And here the English version of the essay:
Europe – Always somewhere just around the corner
Kateryna
Babkina
Every society and culture
has times and places where everything was or is better than here and now, where
everything is more honest, simpler, more beautiful. It’s like an analogy for
the paradises present in every religion, in every belief, in every sect’s
teaching. In my country, older people look back on the Soviet era; and the
truly old in the west of the country remember life in the magical “Polish
days”, which is, in truth, more a memory of the Austro-Hungarian monarchy. Things
were no different in times past – people would say that life was good “before
the war”, “before the Soviet Union”, “in the Czar’s day”. There is also a
simplified version that goes “Now, in
our times…”: this opening can mean virtually anything. Territorial units also feature – “where I grew up,”
“now, in Kiev,” “when we worked in the USA” etc.
For us, the undisputed champion among all these pretty, experienced and
concluded, spatial and local structures, where everything is better than here,
is Europe. A Europe virtually impossible to grasp, both territorially and
conceptually, a Europe where almost everyone has been at least once; it’s there as soon as you cross the
border – and you arrive in a place where everything is great.
In the Ukraine, anything
with the attribute “European” has long had an almost sacred connotation. The
phrase “European renovation”, meaning little more than walls painted white or a
light colour, a new bathroom, new wall sockets, PVC windows and office
lighting, raises the rental or sales price of the space based on some tacit
agreement. Shops sell European carpets and European curtains, hoping to
convince customers that these carpets and curtains are good. Pharmacies offer
European service, and universities offer European education. If an author is paid well for a reading (still a rare enough occurrence
in the Ukraine), people often remark: “Oh, it’s like in Europe”.
In reality, beyond our
borders, there is a very different Europe - the Europe in crisis, the Europe
that wants nothing to do with us, the dying Europe lacking in jobs and warm
feelings, where there is not enough hot blood to dilute this mix of history and
geography. This Europe has thousands of
vague identities. It is a Europe both vain and confused, where excellent
prospects and the ruins of a diverse and stunning world are juxtaposed, a world
which existed when Europe as we now know it was still in the gestation process.
We cannot help but admit that Europe was at its most interesting then. The best roads, castles, rivers, historical turns, literary allusions,
artefacts, items of clothing and furniture, intrigues and tradition come from
that period.
We are lively and
fascinated, perhaps that is why everything is so complicated in the Ukraine. We
have a place in Europe, we are needed there; but we ourselves need an imaginary
paradise, a Europe around the corner, where everything is good and where we
will arrive soon to surrender humbly, to rest in peace and harmony – in other words,
we need a Europe that never comes true for us: Europe as an unattainable
destination; as an eternal subject of reflection and masturbation. Like all
normal dreamers, we need the unattainable in literature, art, love, in business
life and in politics. And what we
need inevitably comes to be.
Translated from the Ukrainian by
Chrystyna Nazarkewytsch and into English by Brenden Bleehen
1 Kommentar:
Wo kann man die Beiträge von Frau Babkina bei Focus oder Le Monde finden? Bitte um einen Link. Die Internetrecherchen blieben ergebnislos. Vielen Dank!
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